Als uns die Sängerinnen von Luys ansprachen und erzählten, dass ein Komponisten sie angesprochen hatte, der mit Ihnen zusammen etwas völlig Neues erarbeiten wollte und dass sie bereits eine Demo-CD aufgenommen hatten, waren wir sehr überrascht, denn es ist für Sänger überaus selten für die eigene Stimme etwas geschrieben zu bekommen.
Noah wollte dieses ungewöhnliche, spannende und herausfordernde Projekt und die Künstler unterstützen, denn hier traf es zu, „East meets west“ und die Moderne traf das Mittelalter.
Zeitgenössische Komponisten haben es schwer, wenn sie sich dem Thema Weltmusik widmen, doch fand dieses Projekt wieder durch Vermittlung von Noah die Aufmerksamkeit des Bayrischen Rundfunks der im Juni 2013 ein einstündiges Portrait über den Komponisten John Hodian und über die ‚Lieder der Verbannung‘ ausstrahlte.
Die Resonanz auf den von Noah erstellten Webseiten und Spendenaufruf zusammen mit John Hodian war überwältigend. Über 6.000 Euro kamen an Spenden zusammen, damit dieses Projekt weiter voran gebracht wird. All diese Personen bekamen von den Aufnahmen eine Vorab-CD als Dank zugesendet.
Im Sommer 2014 wurde wieder ein Teil der Kompositionen eingespielt, die jetzt noch überarbeitet werden müssen. Hier jedoch ohne das Luys-Quintett, bis auf Hasmik Bagdhasaryan, Sopran.

 

Wie alles begann von John Hodian

English Version

Vor einigen Jahren, als ich als Armenisch-Amerikaner erstmalig begann, Armenien zu erkunden, machte ich einen Ausflug zum Garni-Tempel, der in der Nähe von Jerewan liegt. Scheinbar wie aus dem Nichts hörte ich die schönsten Klänge, die ich je gehört habe. Es waren die fünf Sängerinnen von Luys, die probten. Ich war sofort von ihrer Musik ergriffen und wusste, dass ich etwas für sie schreiben wollte. Ihr Repertoire war vom Prinzip her mittelalterliche spirituelle Musik sowie traditionelle armenische Volkslieder. Ich glaube nicht, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt je mit einem lebenden Komponisten zusammengearbeitet hatten.
Es brauchte Jahre, den richtigen Text zu finden. Ich verbrachte viele Monate mit der Recherche in den Bibliotheken von Jerewan, San Lazzaro Venedig, New York und Berlin.

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von pixabay CC _san-lazzaro-326931_640
Das von Mönchen bewohnte armenische Kloster auf der vor Venedig vorgelagertern Insel San Lazzaro beherbergt eine wertvolle Bibliothek.

Als ich schließlich ein kleines Fragment des Armenischen mittelalterlichen Dichters Mkrtich Nagash fand, sprangen die Worte von der Seite unmittelbar in meine Seele und ich wusste, dass ich etwas hatte, mit dem ich arbeiten kann. Da ich gerade in Jerewan war, konnte ich den Rest der noch existierenden 17 Gedichte aufspüren. Nach dem ich wochenlang überlegte, welche Texte ich benutzen wollte und wie ich beginnen würde, beschloss ich, sie alle einzusetzen.

Ohne ein spezifisches Ensemble im Kopf zu haben (abgesehen von den fünf Vokalistinnen von Luys), begann ich, mir von den Texten diktieren zu lassen, wie die Musik sein sollte. Die Instrumente des begleitenden Ensembles wurden intuitiv gewählt und ich kenne auch kein Ensemble mit einer Besetzung wie dieser. In der Retrospektive ist das Ensemble eine wundervolle Ergänzung der Texte mit Elementen des Formellen und des Kultivierten (Streichquartett und Piano), ausgeglichen mit dem folkigen und erdigen Klängen der Dhol, (Trommel) des Duduk (Holzflöte/-oboe aus Aprikosenholz)

und der Oud (einer Laute). Das Stück organisiert sich entlang der Themen des Gedichts und das Ensemble ist es gewohnt, darin die Kombinationen zu variieren (volles Ensemble, a- capella- Stimmen, mit und ohne Klavier, etc.).
Die Schriften von Nagash sind zugleich tiefsinnig und simpel, in gesprächigem Tonfall und poetisch. Die Gedichte können in verschiedene Themengruppen eingeteilt werden.

Manche Gedichte sind Klagen und Überlegungen (#6 Über die Eitelkeit dieser Welt, #15 Über die Exilierten).
Manche Gedichte bieten praktische Ratschläge , jedoch oft von metaphysischer Natur (#4 Anleitende Worte über den Geiz und die Armut).
Noch andere Gedichte adressieren eine spezifische Idee oder ein Ereignis (#1 Ode auf Hochzeiten und Menschliches Glück und #3 Die Rose und die Nachtigall).

Von meinem besonderen Interesse waren die Texte, die von den Notlagen des „Ghareeb“, einem Exilierten oder Wanderer handeln- jemandem ohne Heimatland.
Da ich armenischer Abstammung bin, in Philadelphia und New York aufwuchs, und jetzt in Berlin und ab und zu auch in Woodstock und New York wohne, ist der traurige Zustand des Ghareeb etwas, das ich (und vielleicht die meisten Armenier) nachvollziehen kann. Als Abkömmling von Genozid-Überlebenden, bin ich recht vertraut mit den Geschichten, in denen Entscheidungen im Bruchteil einer Sekunde getroffen werden, wohin man rennt, wem man vertraut und wo man die unaussprechliche Tragödie des Armenischen Genozids überlebt. Die Armenier wurden in die ganze Welt verstreut, während Schicksal, Glück und persönliche Festigkeit darüber entschied, ob ein jeglicher Überlebender in Paris, Boston, Libanon, Iran oder irgendwo sonst auf dem Planet eintreffen würde.

Mich hat es immer fasziniert, dass diese Entscheidungen, die in einem Augenblick von den Überlebenden getroffen wurden, Nachwirkungen für die nachfolgenden Generationen hatten.
Durch meine Arbeit als Komponist, bereise ich selbst relativ oft die ganze Welt, häufig mit einem entwurzelten Gefühl – ein „Ghareeb“ des heutigen Tages, der dazu gezwungen ist, fern seiner Heimat zu leben und nicht einmal jetzt in der Lage ist, zu definieren, was seine Heimat ist. Wie die meisten zeitgenössischen Komponisten misstraue ich Kategorien und bin um Worte verlegen, wie dieses oder jenes Stück zu beschreiben sei. Folk oder Klassik? Folklorisch-ethnisch oder kosmopolitisch? Alt oder modern? Am Ende scheint es doch ein natürliches Produkt von jemandem, der in einem Zuhause aufwuchs, in dem armenische Musik gehört wurde, in seiner Jugend europäische klassische Musik studierte und von zeitgenössischer Rockmusik umgeben ist.