Genozid an den Armeniern 1915

Das Siedlungsgebiet der Armenier erstreckte sich Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur auf das Territorium des heutigen Staates Armenien, sondern weit darüber hinaus. Ein armenischer Staat existierte einst sogar in Kilikien an der Mittelmeerküste. Vor hundert Jahren machten sie dort noch fast 30 Prozent der Bevölkerung aus.

Ende des 19. Jahrhunderts teilte sich das traditionelle Siedlungsgebiet der Armenier auf das Osmanische, das Persische und das Russische Reich auf. Mit rund zwei Millionen Menschen stellten die Armenier im Osmanischen Reich nach den Griechen die zweitgrößte Minderheit. Der beginnenden Zerfall des multi-ethnischen Osmanischen Reiches und dem wachsenden Nationalismus der einzelnen Bevölkerungsgruppen bedingten sich im Vorfeld des 1. Weltkriegs gegenseitig. Proteste armenischer Bauern und Händler gegen die hohe Steuerlast mündeten bald in ersten Aufständen, die von osmanischen Truppen brutal niedergeschlagen wurden. Zwischen 1890 und dem Ausbruch des 1. Weltkrieges kam es immer wieder zu Massakern an Armeniern, verübt von Türken und Kurden. Im gleichen Zeitraum kam es zu zahlreichen Anschlägen armenischer Terroristen, unter anderem auf den regierenden Sultan.

Massenerschießungen

Während des Krieges kämpfte das Osmanische Reich gegen Russland – viele Armenier hingegen beteiligten sich an Partisanengruppen, die den Truppen des russischen Zaren beim Einmarsch helfen wollten. Die armenischen Freiwilligen-Bataillone, die auf russischer Seite kämpften, erhofften sich die spätere Unterstützung des Zaren für die armenischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Die osmanische Führung machte die Armenier für die militärische Niederlange im Konflikt mit Russland verantwortlich. Anfang 1915 wurden die armenischen Soldaten in der osmanischen Armee entwaffnet, zum Wegebau abkommandiert und später kompanieweise erschossen.

In einem zunehmend gewalttätigen anti-armenischen Klima wurden am 24. April 1915 bei Razzien gegen die armenische Elite in Istanbul Tausende Intellektuelle verhaftet und deportiert – erklärtes Ziel des damaligen Innenministers war die Entfernung aller Armenier aus der Hauptstadt. Im Mai begann die osmanische Armee dann mit der Massenvertreibung von Armeniern aus dem Osten des Landes, mit der Begründung, sie könnten die russischen Invasoren unterstützen. Der damalige deutsche Vizekonsul in Erzurum schrieb daraufhin an den deutschen Botschafter in Istanbul: „Nach dem Kriege werden wir ‘keine Armenier mehr in der Türkei haben‘ ist der wörtliche Ausspruch einer maßgebenden Persönlichkeit. Soweit sich dieses Ziel nicht durch die verschiedenen Massaker erreichen lässt, hofft man, dass Entbehrungen der langen Wanderung bis Mesopotamien und das ungewohnte Klima dort ein Übriges tun werden.“

„Schandtat der Vergangenheit“

Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1919 sprach der Großwesir Ferid Pascha offiziell von einem „Verbrechen“ an den Armeniern, der damalige Außenminister Cemal bezifferte die Zahl der Opfer der Deportationen mit 800.000. Der Gründer der Türkischen Republik, Kemal Atatürk, bezeichnete am 24. April 1920, bei der Eröffnung des Parlaments in Ankara, den Völkermord an den Armeniern als „eine Schandtat der Vergangenheit“ – spätere türkische Regierungen lehnten und lehnen es bis heute ab, von einem Genozid zu sprechen.

Die UN-Konvention über die Bestrafung von Völkermord, die im Januar 1951 in Kraft getreten ist, definiert Völkermord als „Handlungen, die in der Absicht begangen werden, einen nationale, ethnische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören.“ Diesen Vorsatz sieht eine Mehrheit von Wissenschaftlern durch historische Quellen dokumentiert. Die meisten Staaten haben den Völkermord an den Armeniern inzwischen offiziell anerkannt.